FACHZAHNARZT FÜR KIEFERORTHOPÄDIE

FACHZAHNARZT FÜR KIEFERORTHOPÄDIE

Schneidezähne / Klebe-Retainer

Zu den unteren Schneidezähnen und hier zum Thema Klebe-Retainer, also dem innen und unsichtbar geklebter Draht zum Stabilisieren, ist für Interessierte einiges zu sagen:

Als Patient ist man manchmal geneigt, vorrangig auf ästhetische bzw. optische Dinge zu achten. Deshalb fokussiert man sich unter Umständen nicht auf die enorm wichtige Seitenzahn-Verzahnung, sondern nur auf die Stellung der Schneidezähne oben und unten, obwohl diese von der seitlichen maßgeblich bestimmt wird. Auch falls sich nach der Behandlung kleine, meist unbedeutende Veränderung im unteren Zahnbogen zeigen, ist man manchmal zunächst irritiert. Völlig nachvollziehbarerweise folgert der Laie dann: Je länger der stabilisierende Draht (nach KFO-Behandlung) bleibt, desto besser. Das ist aber so nicht zutreffend.

Hier möchte ich Ihnen erklären, warum: Der Blick der Patienten allein auf den unteren Zahnbogen ist bereits der erste Fehler in der Betrachtungsweise, weil es eben nicht nur um den optischen Aspekt geht, sondern vorrangig auf den medizinisch korrekten Zusammenbiss (Funktion) des unteren und oberen Frontzahnbogens ankommt, also um das Zusammenspiel der bei jedem Menschen unterschiedlichen anatomischen Formen und Flächen der Zähne. So ergeben sich manchmal anatomisch bedingt kleine Veränderungen in der Zahnreihe, die der Laie falsch negativ oder als optisches Problem bewertet, die aber tatsächlich in vielen Fällen sogar wünschenswert sind, weil damit die Kontakte der verschiedenen Zahnpaare oben und unten ausbalanciert werden, also Störkontakte von der Natur beseitigt werden.
Wenn man also zu viel oder zu lange mit dem Retainer-Draht aus einseitig optischen Beweggründen „stabilisiert“, kann es durch kleinste Störkontakte langfristig zu Störungen in Muskulatur oder Kiefergelenken und damit z.B. auch zu Kopfschmerzen unklarer Herkunft kommen, weil die natürliche Eigen-Justage behindert wird.
Bei einer langen Liegezeit des Klebe-Retainers kommt ein weiterer wichtiger Nachteil hinzu: Die Gefahr einer oft unerkannten Beschädigung (Bruch oder Ablösung), die dazu führt, dass die Zähne sich leichter statt gar nicht verstellen können.
Dazu kommt, dass der umgebende Knochen sich natürlicherweise im Lauf der Jahre in der Form verändert. Wenn also zu lang stabilisiert wird, kann es passieren, dass die Zahnwurzel wegen des Retainers unnatürlich und nachteilig gegen die Knochenwand gepresst wird.
Weitere Aspekte müssen berücksichtigt werden: Bei einigen wenigen Patienten (etwa mit verbliebener Zungen-Dysfunktion) kann der Retainer zu einer unerwünschten Kraft-Verstärkung der Zungen-Kraft führen, dazu noch in falscher Vektoren-Richtung. Hier sollte ein Retainer besonders kurz liegen oder gar nicht erst eingesetzt werden.

Sie sehen also: Die Sache ist weit komplexer als gedacht. Beurteilen und abwägen kann das im Einzelfall aber immer nur der Kieferorthopäde.

Aus vorgenannten Gründen verfahre ich daher in meiner täglichen Praxis hier sehr differenziert:
Der stabilisierende Draht (Klebe-Retainer) verbleibt bewusst nicht auf Dauer, sondern wird (im Regelfall, Ausnahmen sind möglich) nach ein bis zwei Jahren Liegezeit entfernt. Diese Entfernung ist ein komplexer Vorgang mit einem speziellen dreistufigen Prozedere. In der Summe sind die Langzeitergebnisse dadurch noch einmal deutlich besser.